Theravâda

Mönche beim morgendlichem Bettelgang (pindapata)

Der Theravâda, die „Lehre der Ältesten“ ist die einzige der maßgeblichen frühbuddhistischen Schulen, die erhalten blieb. Er ist heute hauptsächlich in Burma /Myanmar, Sri Lanka, Thailand, Laos und Kambodscha verbreitet. Die Textbasis der Schule ist der Pâli-Kanon. Er ist der älteste vollständig überlieferte Kanon buddhis-tischer Schriften, unterteilt in die so genannten Drei Körbe (Tipitaka): Buddhas Lehrreden (Sutta-Pitaka), die klösterliche Ordensdisziplin (Vinaya-Pitaka), und die psychologisch – klassifizierende Deutung des Buddha-Wortes (Abhidhamma-Pitaka). Die Indologie betrachtet den Sutta-Pitaka des Pâli-Kanons als die am ehesten authen-tischen Worte des historischen Buddha. Der indische Vorläufer des Theravâda ist der Sthaviravâda. Die indische Urgemeinde spaltete sich in den ersten Jahrhunderten nach dem Buddha (560 – 480 v. Chr.) wiederholt. Dabei entstanden verschiedene Übergangsschulen zum Mahâyâna: Zuerst trennten sich die „Großgemeindler“ (Mahâ-sanghikas) von den Anhängern der Lehre der Ältesten (Sthaviravâdins). Zur Zeit des dritten Konzils von Pâtaliputra (253 v. Chr.) unter der Schirmherrschaft des buddhis-tischen Kaisers Ashoka (272 – 231 v. Chr.) kam es zu weiteren Abspaltungen, nämlich den „Allexistenzvertretern“ Sarvâstivâdins) und „Vertretern einer Person“ (Pudgala-vâdins). Mit Ashokas Sohn Mahinda kam der Theravâda (Pali für Sthaviravâda) im dritten Jahrhundert v. Chr. nach Sri Lanka. Diese Schule besteht seitdem auf Sri Lanka ungebrochen, während die Überlieferung der anderen frühbuddhistischen Schulen abbrach. Der aus Sri Lanka übernommene Theravâda setzte sich später auch in Burma, Thailand, Kambodscha und Laos durch.

Der Theravâda lehrt den Weg des Verlöschens des inneren Feuers (nibbâna), dessen Brennstoff die Ursachenkette Unwissen (avijjâ), Begehren (tanhâ) und An-haften (upâdâna) ist. Diese Kette führt zu einem ständigen leidvollen Werden (bhava), Wiedergeborenwerden (jâti), Altern und Sterben (jarâ-marana) Mit dem Nirvâna versiegt dieser Daseins-kreislauf (innerhalb des Lebens und darüber hinaus). Der Befreite ist der „Arhat“, der oder die „Würdige“. Nach dem Pâli-Kanon wurden die Stufen der höchsten Befreiung von Ordinierten wie Laienanhängern, Männern wie Frauen verwirklicht, teilweise in großer Zahl.

Die Kernlehren des Theravâda-Buddhismus bestehen in einem bestimmten Befreiungsziel, einem bestimmten Hauptmittel, um es zu verwirklichen und bestimmten Gründen, warum man dies tun sollte. Das Befreiungsziel ist die ungetrübte Schau der Drei Daseinsmerkmale (Ti-lakkhana): Alle Gestaltungen sind unbeständig (anicca), letztendlich unbefriedigend (dukkha) und besitzen weder ein Ich noch eine Seele (anattâ). Das Hauptmittel, um dieses Befreiungsziel zu verwirklichen, ist die Praxis der Reinen Achtsamkeit (sati) in allen Lebenslagen, gegenüber den äußeren Abläufen wie den Absichtsqualitäten all unserer Handlungen. Die Gründe, warum man den Befreiungsweg beschreiten sollte, sind die Vier Edlen Wahrheiten (cattâri ariya saccâni): Die Wahrheit vom Leiden, …von den Ursachen des Leidens, …von der Möglichkeit der Überwindung des Leidens, …vom Weg, der zur Überwindung des Leidens führt.

Die Vier Edlen Wahrheiten sind eine nüchterne und realistische Bestandsaufnahme der existenziellen Situation des Menschen. Sie wenden sich direkt gegen unsere gewöhnliche Verdrängung der existenziellen Tatsachen, weshalb sie immer wieder kontempliert werden müssen. Sie sind die tragende Säule des Buddha-Dharma, die Lösung für das Dilemma des Menschen.

Es wird unter einigen Anhängern des Mahâyâna auch heute noch der Begriff „Hinayâna“ oder „Kleines Fahrzeug“ für den Theravâda benutzt. Diese Bezeichnung entstand in Indien zu Anfang unserer Zeitrechnung. Sie hatte und hat Abwertungsintentionen, weil es im Theravâda angeblich nur um die Selbsterlösung gehe. Diese Abwertung ist angesichts der realen Situation nicht haltbar. Es gibt heute im buddhistischen Asien im Bereich des Theravâda mehr soziales, ökologisches und politisches Engagement, das häufig von den Ordinierten inspiriert und mitgetragen wird, als in den Ländern des Mahâyâna. Die Vermittlung von Meditation an Laien geschieht im Bereich des Theravâda breiter angelegt und systematischer (besonders in Form der Achtsamkeits- oder Einsichtspraxis Vipassanâ) als in den Ländern des Mahâyâna.

(aus: „Kursbuch Vipassana“ von Hans Gruber (Fischer-Spirit) Mit freundlicher Genemigung des Autors.)